Havelberger Dialoge – Dialog mit dem Islam – Sommer 2023
Havelberger Dialoge 30. Mai – 27. Juni 2023
Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot!
So sagt es der in einem Prignitzer Pfarrhaus geborene Arzt und Dichter Gottfried Benn. Die „Havelberger Dialoge“ sollen dies befördern.
Das Reden miteinander ist in der Tat etwas schwieriger, wir glauben aber, nicht unmöglich geworden.
Dies haben die beiden Veranstaltungsreihen der Havelberger Dialoge zu den Themen: „Judentum“ und „Frieden und Krieg!“ im vergangenen Jahr gezeigt. Und so konnten wir zu diesen Gesprächen über 300 Interessierte erreichen. Die gute Resonanz im vergangenen Jahr macht Mut, die Dialogreihe fortzu-setzen.
Als nächster Themenschwerpunkt in dieser Reihe steht der Dialog mit dem Islam im Mittelpunkt. Neben dem Christentum ist der Islam die größte Religionsgemeinschaft in Deutschland und dennoch gibt es wenige Möglichkeiten der Begegnung. Das liegt auch an der Komplexität des Themas, denn wann immer wir von Islam sprechen, spielt der politische Islam, der Islamismus, mit hinein.
Darum wollen wir in unserer Veranstaltungsreihe diese Themen nicht aussparen. Da auch hier gilt: das Reden miteinander ist in der Debatte und Auseinandersetzung hilfreicher als das Reden übereinander, sind wir sehr froh, dass wir für Havelberg drei deutschlandweit anerkannte Persönlichkeiten des Dialogs gewinnen konnten.
Alle drei Referenten sind Teilnehmer an der Deutschen Islam Konferenz des Bundesministeriums des Inneren und so über die religiöse als auch die gesellschaftliche Debatte zum Thema Islam sehr gut informiert.
30. Mai | 19.00 Uhr | Paradiessaal / Dom
Seyran Ates – Vortrag und Gespräch
Seyran Ates ist eine deutsche Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und Autorin, sie ist türkischer und kurdischer Abstammung. Sie befasst sich als Anwältin in Berlin hauptsächlich mit Strafrecht und Familienrecht und engagiert sich in der deutschen Ausländerpolitik.
1984 wurde sie bei einem Attentat lebensgefährlich verletzt. Als Jurastudentin hat sie Migrantinnen in einem Frauenladen in Berlin Kreuzberg beraten. Die Frau, Fatma E., die mit ihr aus dem Laden kommt, überlebt das Attentat nicht. Wie durch ein Wunder überlebt Seyran Ates. „Eine Strafaktion war das“, sagt die Rechtsanwältin, „gegen die Aufklärung der türkischen Frauen. Wenn diese ihre Rechte kennen, verlieren die Männer ihre uneingeschränkte Herrschaft.“ Da stellt sich die Frage, warum Aufklärung nicht ein Recht für alle ist, deutsche wie türkische Frauen? Eine Antwort, sagt sie, hat sie bis heute nicht erhalten, trotz Leitkultur- und Kopftuchdebatte. Wegen gewalttätiger Angriffe und Bedrohungen durch Prozessgegner sowie wegen Anfeindungen von verbandspolitischer Seite gab sie im Jahr 2006 vorübergehend ihre Anwaltszulassung zurück und zog sich 2009 nach neuen Morddrohungen ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Seit 2011 tritt sie erneut in der Öffentlichkeit auf und eröffnete 2012 ihre Anwaltskanzlei wieder.
Seyran Ates ist Initiatorin und Mitbegründerin der Ibn-Rushd-Goethe Moschee in Berlin. Eine Moschee, die für einen liberalen Islam steht, der weltliche und religiöse Macht voneinander trennt und sich um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Korans bemüht. Nach der Gründung dieser liberalen Moschee erhielt sie so viele Morddrohungen, dass sie seitdem unter Personenschutz durch das LKA steht. Auch diese Morddrohungen haben Frau Ates von ihrem Vorhaben, einen liberalen Islam zu predigen, nicht abhalten können.
6. Juni | 19.00 Uhr | Paradiessaal/Dom
Ali Ertan Toprak – Vortrag und Gespräch
Sozialisiert in Deutschland, zuhause in Hamburg – als überzeugter Europäer.
Er hat Rechts- und Sozialwissenschaften studiert und ist als Politikberater international tätig, u.a. als „State Alumnus“ Teil des weltweiten Führungskräftenetzwerks des US-Außenministeriums in Washington D.C.
Toprak hat seit 2018 einen Lehrauftrag an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung Ludwigsburg.
Mit Ali Ertan Toprak ist es uns gelungen, den führenden Repräsentanten der Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland einzuladen. Er war Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde in Deutschland und hat damit ca. 500.000 Menschen vertreten. Er hat seit 1998 mehrere Jahre im Deutschen Bundestag als innen- und außenpolitischer Referent eines Bundestagsabgeordneten gearbeitet. Ali Ertan Toprak ist seit 2013 Bundesvorsitzender der „Kurdischen Gemeinde in Deutschland e.V.“ (KGD). Seit Mai 2015 ist er zugleich Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland. Seit 2014 ist er Mitglied der CDU. 2014-2015 war er Mitglied der Zukunftskommission der CDU Deutschlands. Seit 2016 ist er als Vertreter der Migranten Mitglied im ZDF-Fernsehrat. Als Autor veröffentlicht er unter anderem in den Tageszeitungen „Welt“, „FAZ“ und der Wochenzeitung „DIE ZEIT“.
Toprak ist Sprecher der „Initiative Säkularer Islam“, die sich 2019 gründete. „Wir verstehen Musliminnen und Muslime als Bürger einer demokratischen Gesellschaft, die die Rechte und Pflichten aller anderen Bürger teilen. Wir sprechen uns für eine Verbesserung der bürgerlichen Teilhabe von Muslimen, aber gegen Sonderrechte für Musliminnen und Muslime aus, und das im Grundgesetz garantierte Recht auf die Freiheit des Bekenntnisses und auf ungestörte Religionsausübung beinhaltet unserer Ansicht nach nicht das Recht, religiöse Normen im öffentlichen Raum durchzusetzen.“
Toprak und seine Initiative wollen ein Spektrum der Muslime in Deutschland sichtbar machen und vertreten, das bisher in der Öffentlichkeit kaum repräsentiert war: die säkularen Muslime, die sich zu keiner Moscheegemeinde und keinem muslimischen Verband zugehörig fühlen. Zu den Gründern gehören u. a. auch der Politiker Cem Özdemir, die Gründerin der Ibn Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ates, der Publizist Hamad Abdel-Samad und der Islamismusexperte Ahmad Mansour.
27. Juni | 19.00 Uhr | Paradiessaal/Dom
Ahmad Mansour – Vortrag und Gespräch
Ahmad Mansour ist Diplom Psychologe und lebt seit 19 Jahren in Deutschland, wo er sich für Demokratie, Gleichberechtigung und friedliches Zusammenleben einsetzt.
Als Muslim 1976 in Israel geboren, lebt er seit 2004 in Deutschland und nahm 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Der Psychologe und Autor beschäftigt sich mit Projekten gegen Radikalisierung und Antisemitismus in der islamischen Gesellschaft. Während seiner Schulzeit kam er mit dem fundamentalistischen Islam in Kontakt und wurde dabei beinah zu einem Islamisten, durch das Psychologiestudium in Tel Aviv konnte er sich vom Islamismus lösen.
Er war Gruppenleiter des Berliner Projekts HEROES, das sich aktiv gegen jede „Unterdrückung im Namen der Ehre“ wendet. Seit 2017 ist er Geschäftsführer der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention. Als Islamismus-Experte wird er in ganz Deutschland zu Seminaren und Workshops für Sozialarbeiter eingeladen. Er ist ein inständiger Mahner gegenüber dem islamischen Antisemitismus.
Seine Liste der Verdienstorden ist lang, u.a. Land Berlin/Bundesverdienstkreuz am Bande, Ehrendoktorwürde der theologischen Fakultät der Uni Basel, die Liste seiner Veröffentlichungen auch. Beispielsweise sind diese Titel zu nennen: Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen (2015); Klartext zur Integration. Gegen falsche Toleranz und Panikmache (2018); Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass (2020); Operation Allah. Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will (2022).
Über seine Religiosität sagt er: „Mein eigener Islam ist offen für Kritik, er macht mir keine Angst und Anderen auch nicht.“