Havelberger Dialoge – mit der jüdischen Welt – Sommer 2022
Havelberger Dialoge 30. Juni | 12. Juli – 26. Juli 2022
Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot!
So sagt es der in einem Prignitzer Pfarrhaus geborene Arzt und Dichter Gottfried Benn. Die „Havelberger Dialoge“ sollen dies befördern.
Das Reden miteinander ist in der Tat etwas schwieriger, wir glauben aber, nicht unmöglich geworden. Als Domgemeinde wollen wir uns als Gesprächsort zur Verfügung stellen. Der Dom ist dafür ein guter Ort, schließlich gehen die unterschiedlichsten Menschen an diesem Ort ein und aus. Daher kann uns der Dom ein guter Gastgeber und Gesprächsraum sein.
Die „Havelberger Dialoge“ sollen dieses Gespräch fördern.
Als erster Themenschwerpunkt in dieser Reihe stand der Dialog mit der jüdischen Welt im Mittelpunkt.
30. Juni 2022 | 18.00 Uhr | Treff Domplatz
Stadtspaziergang zu Havelbergs einstigen Orten und Zeugnissen jüdischen Lebens
Im Vorfeld der Gesprächsreihe „Havelberger Dialoge“ gab es einen historischen Stadtspaziergang zu Havelbergs einstigen Orten und Zeugnissen jüdischen Lebens geben. Dabei wurden der jüdische Friedhof, die Synagoge, die Altstadtinsel mit einstigen jüdischen Bürgerhäusern und auch die Stadtkirche St. Laurentius von außen besichtigt. Dieser Spaziergang fand am Donnerstag, den 30. Juni um 18 Uhr statt. Treffpunkt war der Domplatz, von dort ging es entweder mit dem Fahrrad oder dem Auto zum jüdischen Friedhof.
Zu dieser Veranstaltung luden sehr herzlich das Prignitz-Museum Havelberg mit der Leiterin Frau Antje Reichel und die Domgemeinde Havelberg mit Pfarrer Teja Begrich ein.
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In Havelberg, aber auch in Sachsen-Anhalt, ist es schwierig, mit Juden zu reden, da die jüdische Gemeinde in unserem Bundeland sehr klein ist. An drei Abenden im Juli 2022 hatten wir jedoch die Gelegenheit dazu. Wir konnten drei namhafte Referenten gewinnen.
12. Juli 2022 | 19.00 Uhr | Paradiessaal des Doms zu Havelberg
Juna Grossmann – Lesung und Gespräch
Täglich berichten die Medien über öffentliche Bedrohungen, Mobbing an Schulen und gewalttätige Übergriffe. Oft stehen muslimische Zuwanderer im Mittelpunkt der Berichterstattung, doch Juna Grossmann, eine jüdische Deutsche in Berlin, weiß, dass die Lage noch wesentlich schlimmer ist: Der Antisemitismus in der gesamten Gesellschaft wächst seit Jahren – und wird seit Jahren immer unverhohlener gezeigt.
Juna Grossmann schildert in ihrem aufrüttelnden Bericht, wie seit dem 11. September 2001 das Klima im Land verändert hat, wie antisemitischen Verschwörungstheorien zugenommen haben und wie das, was politisch sagbar und gesellschaftlich hoffähig ist, kontinuierlich ausgeweitet wurde, wie zunächst verkappter Judenhass sich heute allzu oft offen zu erkennen gibt. Sie zeichnet den Alltag jüdischer Deutscher, der mehr und mehr der chinesischen Tropfenfolter gleicht, ausgesetzt permanenten Unterstellungen, Anschuldigungen, Drohungen und Ausgrenzungen.
Sie macht schmerzhaft deutlich, dass nicht mehr nur die Generation derer, die den Holocaust noch erlebt hat, von sich sagt, sie sitze auf gepackten Koffern, sondern dass dies mittlerweile auch für die jüngeren, weit nach 1945 geborenen deutschen Juden gilt. Grossmann fordert alle in Deutschland lebenden Menschen zu Empathie und Wachsamkeit auf, sie fordert im Alltag gelebte Zivilcourage – denn die Schonzeit ist in einem rauer werdenden gesellschaftlichen Klima für alle längst vorbei.
Juna Grossmann, geboren 1976 in (Ost-)Berlin, hat Sonderpädagogik studiert und arbeitet seit vielen Jahren in Gedenkstätten und Museen. Seit 2009 leitet sie das Ausstellungsbüro eines Berliner Museums. Nebenher ist sie Beraterin für Social Media Auftritte für Gedenkstätten und Kultureinrichtungen. Seit 2008 betreibt Juna Grossmann den Blog irgendwiejuedisch.com und engagiert sich ehrenamtlich bei „Meet a Jew“.
19. Juli 2022 | 19.00 Uhr | Paradiessaal des Doms zu Havelberg
Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens – „Jüdische Perspektiven auf Jesus, Paulus und das Christentum“
Rabbiner Dr. Jehoschua Ahrens, Studium in Ramat Gan, Budapest, Cambridge und Luzern, Ordination zum orthodoxen Rabbiner in Israel, ist Director Central Europe des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation in Jerusalem und Research Fellow an der Universität Salzburg. Er ist einer der Initiatoren und Autoren der Orthodoxen rabbinischen Erklärung zum Christentum „Den Willen unseres Vaters im Himmel tun“.
Zuvor arbeitet er als Manager in internationalen Firmen, bevor er eine Rabbinerausbildung in Israel absolvierte. Er ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland und Vorstandsmitglied des Deutschen Koordinierungsrates der Christlich-Jüdischen Gesellschaften und eine der herausragenden Stimmen des orthodoxen Judentums im christlich-jüdischen Dialog.
26. Juli 2022 | 19 Uhr | Paradiessaal des Doms zu Havelberg
Rabbiner Andrew Steiman – Frag den Rabbi! Rabbiner Andy Steiman gibt Auskunft über gewöhnlich-ungewöhnliches des jüdischen Lebens.
Rabbiner Andrew Steiman wurde 1958 in New York geboren. Beide Eltern kamen aus traditionsbewussten jüdischen Familien und waren im anti-nazistischen Widerstand aktiv, bevor sie als Exilanten in die USA kamen. 1970 kehrte die Familie nach Europa zurück.
An den Universitäten Frankfurt und Jerusalem studierte der spätere Rabbiner Wirtschaftsgeschichte und Pädagogik. Zwischen 1982 und 1996 war Andrew Steiman in der Militär-Seelsorge der US-Streitkräfte in den USA und Europa als Religionslehrer und Kantor tätig. In dieser Zeit erhielt er seine Ausbildung zum Seelsorger an der Militärakademie West Point und wurde in Jerusalem zum Rabbiner ordiniert.
Er war im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland bei der Integration der jüdischen Zuwanderer in den neuen Bundesländern tätig. Als Seelsorger widmet er sich der Generation der Überlebenden. Seit 2003 ist er in Frankfurt/M. Altenheim-Seelsorger der Budge-Stiftung, des einzigen jüdisch-christlichen Altenheims bundesweit.
Sich selbst bezeichnet Andrew Steiman als „traditionell“; andere sehen ihn als „unorthodox-orthodox“ (wie ihn die Frankfurter Rundschau kürzlich beschrieb). Er lebt mit seiner Frau (einer Krankenschwester, ebenfalls tätig an der Budge-Stiftung) und den beiden Töchtern in Frankfurt.
Als Veteran des Golfkriegs ist Rabbiner Steiman Vorstandsmitglied im Bund jüdischer Soldaten, dem jüdischen Traditionsverband für Soldaten im aktiven, ehemaligen sowie im Reservedienst. Er gilt in Deutschland als einziger Rabbiner, der sowohl aktive Soldaten als auch Holocaust-Überlebende seelsorgerisch betreut hat.
Sein Engagement für den christlich-jüdischen Dialog erstreckt sich über mehrere Kulturen, Kontinente und alle Generationen. Er gehört zu den ganz Wenigen, die bereits in zweiter Generation dem Dialog zwischen Juden und Christen verpflichtet sind; schon der Vater beharrte darauf: „Wenn die Christen uns Juden und damit sich selbst besser kennen würden, würden sie uns nie verfolgt haben“, so das Credo des Vaters, dem sich auch Andrew Steiman verpflichtet sieht, genauso wie der Tradition seiner Mutter, die als herzliche Gastgeberin an jüdischen Festen bei Juden und Nicht-Juden gleichermaßen bekannt war. Der christlich-jüdische Dialog geht somit wie die Liebe auch durch den Magen und damit ans Herz, wie seine Mutter gerne bemerkte (dem Sohn ist das durchaus auch anzusehen).
Die Veranstaltungsreihe wurde ermöglicht durch Förderung des Bundesprogramms „Demokratie Leben“ in Verbindung mit der Partnerschaft für Demokratie des Landkreises Stendal. (Juli 2022)
Fortsetzung der Reihe mit weiteren Terminen
Havelberger Dialoge - Dmitrij Kapitelman – Vortrag und Gespräch
Di, 19.11.2024 19 Uhr
Domplatz 3
39539 Havelberg
Verkehrsverbindungen:
ab Berlin Hbf mit RB in Richtung Wittenberge bis Glöwen - dann Bus
Die Weihe des romanischen Domes war 1170. Nach einem Kirchenbrand 1279 wurde die romanische Pfeilerbasika gotisch überformt. Ende des Umbaus und Fertigstellung der Klosteranlage zwischen 1330 und 1380. Besonderheiten: Verbindung romanischen und gotischen Baustils, Lettner-Chorschrankenensemble mit 20 Reliefs und 14 Skulpturen (Entstehung 1396 bis 1411), Teile der alten Chorschranke (drei Sandsteinleuchter von 1300), gotische Farbglasfenster (sieben Fenster mit einem Christuszyklus 1411/1412, zwei Fenster mit Blattornamentik 1330), Triumphkreuz (1300), barocke Kanzel (1693), Hochaltar(1700) und Orgel (1777). Der südliche Teil der Klosteranlage mit Sommer- und Winterrefektorium (13./14. Jh.) beherbergt heute den Paradiessaal. Er wird für Gottesdienste in der kalten Jahreszeit und für Veranstaltungen genutzt.
Das Buch ist die Geschichte einer Familie, die einst voller Hoffnung in die Fremde zog, um ein neues Leben zu beginnen und am Ende ohne jede Heimat dasteht. Erzählt mit dem bittersüßen Humor eines Sohnes, der stoisch versucht, Deutscher zu werden. Dmitrij Kapitelman kann besser sächseln als die Beamtin, bei der er den deutschen Pass beantragt. Nach 25 Jahren als Landsmann, dem Großteil seines Lebens. Aber der Bürokratie ist keine Formalie zu klein, wenn es um Einwanderer geht. Frau Kunze verlangt eine Apostille aus Kiew. Also reist er in seine Geburtsstadt, mit der ihn nichts mehr verbindet, außer Kindheitserinnerungen. Schön sind diese Erinnerungen, warten doch darin liebende, unfehlbare Eltern. Und schwer, denn gegenwärtig ist die Familie zerstritten.
Dmitrij Kapitelman, 1986 in Kiew geboren, kam im Alter von acht Jahren als „Kontingentflüchtling“ mit seiner Familie nach Deutschland. Er studierte Politikwissenschaft und Soziologie an der Universität Leipzig und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Heute arbeitet er als freier Journalist. 2016 erschien sein erstes, erfolgreiches Buch „Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“, für das er den Klaus-Michael-Kühne-Preis gewann. 2021 folgte „Eine Formalie in Kiew“, für das er mit dem Buchpreis „Familienroman der Stiftung Ravensburger Verlag“ ausgezeichnet wurde.
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